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Radtour auf dem Eurovelo 6 von Nantes bis Monbeliard im Sommer 2017

Von Reinhard Wilhelm


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Der Radweg Eurovelo 6 spannt sich zwischen Atlantik, d.h. der Loire-Mündung, und dem Schwarzen Meer. Wir wollten ein etwa 1100km langes Teilstück, von Nantes nach Mulhouse fahren, zum ersten Mal mit eBikes. Um es voraus zu schicken, diese Route ist wunderschön, landschaftlich reizvoll, voll von einer großen Ruhe. Die Radwege sind gut gelegt, gut unterhalten und gut ausgeschildert. Die Loire hatte wenig Wasser, weil es vor unserer Tour lange nicht geregnet hatte. Sandbänke lagen oft frei. Der Eindruck einer naturbelassenen Landschaft, so wie etwa auf Bildern flämischer Maler, wird etwas künstlich verstärkt, indem neue dunkle Holzboote statt moderner Plastikboote hinein gelegt werden. Man hat den Eindruck, die meisten Nutzer dieses schönen Radweges führen von Ost nach West, weil man einfach mehr Leuten in dieser Richtung begegnet. Das täuscht eventuell. Denn stellt man sich vor, alle führen mit derselben Geschwindigkeit. Dann könnte man sogar den Eindruck bekommen, man sei der einzige, der in seine Richtung fährt.
Wir waren saisonal relativ früh dran. Erst gegen Ende der Tour, Anfang Juli, belebte es sich etwas. Meist waren Deutsche, Holländer und Engländer unterwegs. Man merkte das an der freundlichen Begrüßung „Bonn Joua“. Franzosen traf man fast nur auf Rennrädern und dann oft in größeren Rudeln. Die Radwege sind sehr gut gelegt, Treidelpfade, wo vorhanden, asphaltierte Feldwege, romantische Alleen, ab und zu mal wenig befahrenen Straßen. Meist geht es längs die Flüsse oder Kanäle, nur, wo das nicht geht und wo eine zu stark befahrene Straße längs den Fluss die einzige Möglichkeit wäre, weicht der Radweg auf kleine Straßen im Umfeld aus. Dann muss man steigen und durch landwirtschaftlich genutzte weite Landschaften radeln. Manche Wegstücke längs der Loire wurden wohl für diesen Radweg angelegt, fehlende Stücke gescheit ergänzt. Die Beschilderung ist fast perfekt. An wenigen kritischen Stellen fehlt ein Wegweiser. Dort haben wir uns auch prompt meist verfahren. Ich hatte ja ein Navi auf meinem Bordcomputer. Dazu später mehr. Es gibt ausgezeichnetes Kartenmaterial von Huber Kartographie und einen Führer von Chamina. Die Karten enthalten keine Höhenlinien, die wären ab und zu nützlich gewesen. Der Führer enthält wertvolle Informationen, ebenfalls Kartenabschnitte und wichtige Adressen wie die von Campingplätzen, Hotels und Chambre d’hôte mit Fahrradgaragen.
Warum sind wir von West nach Ost gefahren? Einmal wegen des Gegenwinds – die Rechnung ging, als wir der Loire südwärts folgten, nicht immer auf – und dann wegen des Transports der Fahrräder. Der TGV nimmt ein paar Fahrräder mit, und die paar Plätze sind sehr schnell vergeben, wenn man drei Monate vor der Reise die Fahrkarten kaufen kann. Da das Startdatum einfacher zu fixieren ist als das Ankunftsdatum, reservierten wir früh zwei Plätze im TGV vom Pampabahnhof Gare Lorraine nach Nantes. Dieser Bahnhof Liegt mitten zwischen Metz und Nancy, weil sich diese beiden ewigkonkurrierenden größten lothringischen Städte mal wieder nicht auf einen stadtnahen Standort einigen konnten. Er ist nur per Bus-Shuttle angebunden. Dieser nimmt keine Fahrräder mit. Man muss dahin radeln. Späte Einsicht: Es wäre besser gewesen, von Straßburg aus zu starten. Da kommt man von Saarbrücken aus besser hin.


20.6. Start von Saarbrücken
Räder und Fahrer im TER Richtung Metz, Ziel Remilly. Von Remilly aus Gare Lorraine erreicht, brutale Hitze, angenehmer Gegenwind.
Im Gare Lorraine die sauschweren eBikes mitsamt Packtaschen über ein paar Stufen und eine enge Kurve in den TGV gehievt. Hielten uns deshalb für Helden. An der nächsten Station stieg eine schwarze Familie mit 3 Kindern und 12 großen Koffern ein. Mutter lud die Koffer ein, Vater passte auf, dass sie es richtig machte. Das war eine wahre Heldin!
Apropos Gewicht. Bei früheren langen Radtouren waren Bücher der schwerste Teil des Reisegepäcks. Dank eBooks gar kein Problem mehr! Welch immense Gewichtsersparnis dank des technischen Fortschritts! Statt dessen hat man eine Packtasche voll Ladegeräte dabei, das schwerste für die eBikeakkus, eins für die Digitalcamera, eins für Tablett Mann, eins weil anderer Hersteller für Tablett Frau, eins für eReader, eins für iPhone alt und eins für iPhone neu. Erholsame Fahrt bis Nantes, von Freunden abgeholt, verpflegt, in La Chapelle sur Erdre beherbergt. Ein Tag Besichtigung der dynamischen Stadt Nantes, insbesondere der Insel mit ihren Maschinen, und Abendessen bei Freunden. Auftanken vor den erwarteten Strapazen! Mit allen politische Diskussionen geführt. Nantes mit seiner florierenden Wirtschaft findet nicht genügend Arbeitskräfte, obwohl es andernorts hohe Arbeitslosigkeit gibt. Große Hoffnungen ruhen auf Macron, so hoch, dass Enttäuschungen nicht ausbleiben werden.

22.6. Start der Frankreichdurchquerung: La Chapelle sur Erdre - St. Florent le Vieil, 56km
Von La Chapelle mussten wir erst an die Loire und den Eurovelo 6 kommen. Dazu fuhren wir vom rechtwinkligen Dreieck La Chapelle – Nantes – Oudon die Hypotenuse ab. Da unsere Eurovelo-6-Karte diesen Weg nicht vorsah, mussten wir eine geeignete Abkürzung selbst finden. Aber wozu hatten wir denn das teuer bezahlte Navi im Bordcomputer.
Kurze Erläuterung zum Navi des Bosch Nyon: Man lädt Karten oder auch Routen aus der Nyon-Webseite in das Navi. Ich hatte die Karten aller von uns zu durchfahrenden Regionen schon zuhause geladen und auch Routen vorberechnet. Bei manchen Routen verweigerte das Navi oder - war es der Server? – die Berechnung, z.B. Orleans – Nevers. Aktuell zur täglichen Tour gibt man den Zielort ein – das Navi kennt dank GPS (meist) den Standort – und bittet höflich um Routenberechnung. Der Zielort, wenn hinreichend klein und unbedeutend, ist unbekannt. Dann sucht man einen wichtigeren Zielort entlang der Route. Wenn das Navi den Zielort gefunden zu haben glaubt, zeigt es ihn unter Angabe der Straßenkilometer – meine Vermutung! – an und bietet die Optionen "schön", „schnell“ oder „MTB“, also Mountain Bike an. Man darf sich nicht wundern, dass selbst „schnell“ längere Routen als die kürzeste Autoverbindung ergibt. „schön“und „MTB“ sind dann noch mal länger. Zu weiteren Navi-Überraschungen später! Zum Abschneiden La Chapelle sur Erdre - Oudon sind wir mit dem Navi querfeldein gefahren, Option „schön“. Das brachte uns einiges Schieben auf unbefahrbaren Wegen ein, mehr Wander- als Fahrradwege, dazu steil bergauf und bergab. Man fragt sich, welche Wege man empfohlen bekommt, wenn man die Option „MTB“ wählt. Fluss- oder Sumpfdurchquerungen? Kletterwände? Die Fehlermeldung „Routenberechnung kann wegen eines unbekannten Fehlers nicht durchgeführt werden.“ erfreut das Informatikerherz.

Erste Station erreicht: St. Florent le Vieil,
Unterkunft in antiker Herberge mit wunderbarem Blick über die Loire, geräumiges Zimmer, schönes Bad mit den bei einem alten Gemäuer erwarteten Einschränkungen, nicht gleichzeitig Klospülen und Dusche betätigen usw., auxlumieresdelaloire.com Der korrektere Name für das Dorf wäre St. Florent le Mort, absolut tote Hose! Das Städtchen liegt nett über der Loire, hat ein paar alte Gebäude, an der Stirnwand der Kirche sogar ein Portrait von Karl dem Großen, weil sein Reich genau dort endete. Dahinter begann die Bretagne. Damals war vermutlich in St. Florent le Jeune mehr los.

23.6. St. Florent le Vieil – Saumur, 103km
Über 100km durch atemberaubend schöne Landschaft bei zuletzt großer Hitze gefahren. Dann Hotelzimmer im 4. Stock ohne Lift. Schwer geschnauft und knapp überlebt Die schöne alte Innenstadt genossen und mit ein paar netten Amerikanern aus Ohio über Trump gelästert. Sie waren keine Fans. Am nächsten Tag vor dem Hotel Le Jour du Velo! Historische Fahrräder in historischen Kostümen geritten oder geschoben, Ersatzteil- und Reparaturstände, Rennen aller Arten und viel zu Essen und zu Trinken.

24.6. Saumur – Villandry, 61km
Kurze Tour bis zu den Loire-Schlössern. Unterwegs wegen fehlender Beschilderung, die sonst fast immer ausgezeichnet war, etwas länger gebraucht, aus dem Weiler Avoine (Indre et Loire) heraus zu finden. Erstaunliches Dorf! Alle Straßen neu gemacht, nagelneues, architektonisch ansprechendes Centre Culturel. Der geneigte Radler fragt sich, woher dieser Reichtum? Wikipedia weiß als einzig Interessantes zu berichten, dass Avoine eine Partnerschaft mit der Samtgemeinde Heemsen in Niedersachsen hat. Die Heemser werden den Ausbau ihrer Partnergemeinde aber, trotz vermutlich großer Einkünfte aus dem Spargelanbau, nicht finanziert haben. Wikipedia liefert möglicherweise die Erklärung: Das Kernkraftwerk Chinon liegt nahe bei. Segnungen der Kernkraft! Überhaupt, Kernkraftwerke!
Das Loire-Tal macht einen weitgehend naturbelassenen Eindruck. Da freut es einen doch, dass regelmäßig als Grüße aus der Zivilisation Kernkraftwerke auftauchen. Sie bieten auch dem Touristen etwas, z.B. einen ausgeschilderten Picknickplatz mit eindrucksvollem Hintergrund aus Kühltürmen oder viele kostenlose Stellplätze für Campingmobile auf dem groß dimensionierten Parkplatz.
Villandry hat ein schönes Renaissance-Schloss. Bemerkenswert sind vor allen Dingen die terrassenförmig angelegten Gärten, darunter ein in vielfältigen geometrischen Mustern angelegter Gemüsegarten, der das Herz des radelnden Kleingärtners höher schlagen lässt. Sogar die Kohlköppe sind nach ausgefeilten Symmetrien gepflanzt.
Im Hotel beim Frühstück ein interessantes Gespräch mit ein paar älteren Brits. Diese, obwohl Selbstständige und Konservativen-Wähler waren entsetzt über die Entwicklung in ihrem Land und in der aktuellen Regierung. Sie planten, ihr Rentnerdasein größtenteils in der Dordogne zu verbringen. Unterwegs unser erstes und einziges Cyclocafé, in Bréhémont, schlitzohriger Betreiber mit einigen Fremdsprachenkenntnissen – redete allerdings noch vom Saargebiet! -, und mit umfassendem Reparatur-, Fahrradverleih- und sehr eingeschränktem kulinarischen Angebot und einer Station de Lavage Velo. Wie sich zeigen sollte, bekamen wir unsere Räder bald kostenlos gewaschen. Man wundert sich, weshalb es nicht längs dieser sehr befahrenen Radroute mehr solche Cyclocafés gibt. Bedarf bestünde sicher. Übertrieben geschäftstüchtig ist der Franzose halt nicht. Das zeigt sich auch an den langen Mittagsruhen der Hotels, die eine Ankunft von müden Radlern vor 16 oder gar 17 Uhr unmöglich machen und deshalb manchen Gast verscheuchen.
Eine recht vernünftige Zeiteinteilung, gerade bei heißem Wetter ist: früh starten, beenden der Tagesetappe am frühen Nachmittag, im Hotel einkehren, duschen, Mittagsruhe, dann Besichtigung. Aber nix da! Das Hotel macht erst in ein paar Stunden auf. Dann kehrt der müde und schweißgetränkte Radler eher beim ständig geöffneten, ungünstig gelegenen vietnamesischen Hotel mit vietnamesischen Standards ein.

25.6. Villandry – Amboise, 52km
Heute leichter Niesel, angenehme Temperaturen. Schlossbesichtigung, hier verbrachte Leonardo da Vinci seine letzten Jahre. Auch die Reste des vormals erheblich größeren Schlosses sind beeindruckend, die Hervorbringungen des für das abendliche Konzert im Park probenden Blasorchesters eher weniger. Unser vom Tourenführer empfohlenes Hotel lag mitten in der Stadt. Die übelste Nacht der Tour! Das können nur noch Kakerlaken und Flöhe toppen, in Kombination! Das Hotel liegt an einer innerstädtischen Straße, die überraschenderweise auch nachts noch gut befahren ist. Die Hitze erzwingt offene Fenster, die Autos fahren akustisch gesehen mitten durch das Zimmer. Dazu wird es durch eine Straßenlaterne gegenüber dem Fenster kostenlos erleuchtet. Die Gespräche an mehreren Frühstückstischen waren recht monothematisch, die schlechte Nacht.
Reisender, wenn der Angestellte an der Rezeption sich nicht erkundigt, wie die Nacht war, dann bist Du gewarnt, allerdings um eine Nacht zu spät!

26.6 Amboise – Orleans, 111km
Sehr lange Tagesetappe. Hotel sieht im Netz gut aus, Adresse verspricht Ruhe,Place du Vieux Marché. War dann tatsächlich ruhig und angenehm.
Kurz vor Ende der Tour eine kritische Passage, rechtwinkliges Einbiegen zwischen zwei Mauern mit etwa 1m Abstand, dann steil abwärts. Im ausgeruhten Zustand hätte man geschoben oder gut gebremst. Nach 90 gefahrenen Kilometern entsteht statt dessen Panik und verursacht einen Sturz. Mehrere Hautabschürfungen und eine Prellung am Knie. Nicht mehr viel Dampf für Stadtbesichtigung übrig. Beim Frühstück politische Diskussion mit einer Französin, die in Deutschland lebt und geschäftlich unterwegs war. Auch große Hoffnung in Macron.

27.6. Orleans – Giens, 77km
Heute nur relativ kurze Etappe. Am Tagesziel Gien bekommen wir nach einem Tag mit Dauer-Loire-Blick ein günstiges Zimmer, weil ohne Loire-Blick. In Sully haben wir ein leckeres Mittagessen beim kleinen Hobbit genossen.
Gien ist durch sein Porzellan, sein Jagdschloss und ein Bombardement seiner strategisch wichtigen Loire-Brücke durch die deutsche Luftwaffe im Juni 1940 bekannt. Dieses Bombardement zerstörte große Teile der Altstadt. Man sieht viele Gedenkstätten.

28.6. Gien – La Charité sur Loire Aujourd'hui lavage du velo gratuit.
Es regnete und zwar dauerhaft. Meine Regenjacke entpuppte sich als eine Schönwetterjacke. Nach ein paar Minuten ging der Regen durch, auf Dauer kein gutes Gefühl! In Briard kommt der erste Pont-Canal, eine hohe Brücke, die den Loire-Seitenkanal über die Loire führt. Sehr imposantes Bauwerk, im Jugendstil dekoriert.
Die Loire wendet sich nach Süden. Wenn man allerdings die Flussrichtung betrachtet, heißt das genauer, sie kommt jetzt aus dem Süden. Leider kam zu unserer Zeit auch der Wind und mit ihm das schlechte Wetter aus dem Süden. Der französischen Landwirtschaft haben wir es gegönnt. Mein etwas schlapper Witz: „Il fait beau ... pour les agriculteurs“ kam mehrfach gut an! Unterwegs passierten wir Sancerre und hätten die Herkunft dieses großen Weinsortennamens gern kennen gelernt. Aber dem Kennenlernen standen etliche Höhenmeter im Wege; Sancerre ist eine befestigte Siedlung oben auf einem Berg. Also Blick hinauf geworfen und weiter gefahren. Bald kommt Pouilly sur Loire, durch den Pouilly Fumé ebenfalls sehr bekannter Weinort. Station in la Charité sur Loire, Chambre d’Hote bei Sylvie mit ihren zwei Kindern, gîte La Petite Maison d'Artiste. Sylvie ist ökologisch orientiert; es gab Müsli, wunderbares Brot und mehrere selbst gemachte köstliche Marmeladen zum Frühstück. Sie half auch beim Versuch, die Schuhe, welche von oben mit Wasser gefüllt worden waren, wieder trocken zu kriegen. Ihr Mann, Informatiklehrer, behauptet von meinem Bouquin gehört zu haben.
La Charité sur Loire, historisch bedeutend, mit einer ehemals riesigen Kirche, dem ersten Ableger von Cluny, UNESCO Weltkulturerbe, ist offensichtlich fürchterlich arm. Die Reste der Kirche werden mit Stützen gegen das Kollabieren gesichert, die Straßen sind schlecht erhalten. Offensichtlich fehlt, wenn man das oben beschriebene Avoine betrachte, ein Kernkraftwerk in der unmittelbaren Nähe.Aber es haben sich eine ganze Reihe Künstler dort niedergelassen. Unsere Gastgeberin, auch zur Künstlerszene gehörend, erzählte, dass die Gemeinde es schafft, jedes Jahr eine Straße neu zu teeren! Die Suche nach einem offenen Restaurant führte uns – Ferméture annuelle, Fermé le Mercredi – schließlich zum Kebab-Laden.
Am nächsten Morgen der Schock! Einer der Bordcomputer bekommt keinen Kontakt mit dem Akku und zeigt hartnäckig den Stand vom Abend vorher an. Erste Vermutung, das Aufladen des Akkus vermurkst. War aber nicht. Bei genauerem Hinschauen zeigt sich auf einem der Kontakte des Akkus ein Regentropfen vom Tag vorher, wie immer der dorthin gekommen war. Abgetrocknet, und schon lief alles wieder.

29.6. – La Charité sur Loire – Decize, 76km
Auf dieser Strecke liegt als größere Stadt Nevers. Wir wollten ein paar interessante Gebäude anschauen. Das Fahrradnavi schickt uns nicht an der sehenswürdigen Mündung der Allier in die Saône vorbei sondern längs der hässlichsten, längsten Einflugschneise, die Nevers zu bieten hat.
Besichtigung der romanisch-gotischen Kathedrale Ste. Julitte und des herzoglichem Palasts aus der Renaissance. In der Kathedrale liegt eine der Lourdes-Seherinnen seit 1925 unverwest. Vermutlich hat sie keine zehrenden Radtouren gemacht. Sonst hätte es mit der Verwesung besser geklappt.
Station in Decize im Hotel de l’Agriculture im uninteressanten Ortsteil St. Thibault. Die Einrichtung ist tatsächlich etwas rustikal, und von draußen gibt es Landluft, dafür ist aber das Essen gut.

30.6. Decize – Bourbon-Lancy, 52km
In Decize fährt man längs den Canal du Nivernais nach Westen und biegt dann wieder südlich ab, um parallel zur Loire über ruhige Landstraßen nach Bourbon-Lancy zu kommen. Der Regen hat durchaus wechselnde Intensität. Der Zielort hat einen gut erhaltenen historischen Ortskern mit Stadttor, Wehrturm und vielen Fachwerkhäusern. Das schöne Hotel am Marktplatz machte erst um 17 Uhr auf. Froh aus unseren nassen Klamotten zu kommen, nehmen wir in einem schönen Fachwerkhaus ein nicht gerade preiswertes, dafür aber auch nicht besonders gutes Mittagessen zu uns. Da auch nach dem Essen niemand eine Herberge anbietet, landen wir bei einem günstig an der lebhaften Ausfallstraße gelegenen Vietnamesen. Merke: der Vietnamese braucht keine Mittagspause, und der Türke hat seinen Kebab-Laden immer geöffnet! Den vietnamesischen Standard an Wohnkomfort – Toilette und Dusche auf dem Flur – macht der Gastgeber durch große Freundlichkeit fast wett. Abends gibt es bei ihm Buffet à volonté, all-you- can-eat-Büffet. Durchaus populär bei gewissen Franzosen, wie man sah.

1.7. Bourbon-Lancy – Paray le Monial, 51km
Unser freundlicher Vietnamese muss uns leider in den Regen entlassen. Der Regen dauerte den ganzen Tag, da half auch unsere Erklärung, an diesem Tag eine Pilgerschaft zu einem heiligen Ziel, Paray le Monial, zu machen, nicht.Bei Digoin verlässt man die Loire und trifft den Canal du Centre. In der Nähe von Paray-le-Monial hat man den südlichsten Punkt der Route passiert. Schönes Hotel bei der romanischen Basilika, die von Mönchen aus Cluny gebaut wurde.
Endliche einen Imprägnierspray für meine Regenjacke gefunden und sie für die restlichen trockenen Tage regendicht gemacht.

2.7. Paray le Monial – Chalon sur Saône, 98km
Macht doch einen Unterschied, wenn die Sonne scheint! Wenn man dann noch am Kanal ein Café zur fetten Fritte findet, in welcher das Dorfprekariat seinen Sonntag feiert, kann ja außer Verdauungsproblemen kaum noch etwas schief gehen. Dachten wir! Aber dem war das Navi vor. Der Canal du Centre macht aus gutem Grund einen großen Bogen nach Norden, bevor er Chalon und die Saône erreicht. Er umgeht nämlich einen länglichen Bergrücken. Unser Navi berücksichtigt leider keine Höhenunterschiede. Ich folgte seinen Empfehlungen, weil ich dachte, vielleicht gibt es einen Durchschlupf, so dass man nicht ganz oben drüber muss. Aber nein, man musste! Als wir dann oben auf dem Bergrücken und mitten in der Pampa waren, verlor das Navi die Orientierung und erklärte kurzerhand alle Richtungen für falsch. Guter Rat war teuer, besonders da die Akkus langsam leer liefen. Ein vorbei kommender Motorradfahrer gab uns die entscheidenden Hinweise, die uns, fast die ganze Zeit bergab, nach Chalon führten. Das Navi hatte wohl einen schlechten Tag erwischt und verlor auch bei der Einfahrt nach Chalon noch mal die Orientierung.
Einkehr im liebevoll betriebenen Hotel Villa Boucicaut und Essen beim Italiener am wunderschönen Marktplatz mit alten Fachwerkhäusern.

3.7. Chalon sur Saône – Dole, 97km
Fahrt längs der Saône bis zum Canal du Rhone au Rhin bis nach Dole in der Region Bourgogne- Franche-Comté. Jetzt ist das Jura erreicht. Dole war eine Überraschung. Fast vollständig erhaltene Innenstadt. Wie mir der stolze, französische Besitzer eines deutschen eBikes beim Warten vor dem Office de Tourisme vermittelte, sind sogar die kirchlichen Gebäude während der französischen Revolution kaum beschädigt worden. Das war ihm echt wichtig. Besonders schön und auch sehr touristisch ist das Gerberviertel, Quartier des Tanneurs, mit seinen Kanälen und dem Geburtshaus von Louis Pasteur. Unser Hotel gegenüber dem Bahnhof wies auch interessante Eigenschaften auf. Die gewünschten zwei Betten befanden sich in zwei ineinander übergehenden Zimmern. In einem der Zimmer befand sich auch die Dusche, allerdings nicht das Klo. Es war Gott sei Dank in einem abgetrennten Raum. In meinem Bett verabschiedeten sich im Lauf der Nacht mehrere Latten aus dem Lattenrost.

4.7. Dole – Baume les Dames, 92km
Wunderbare Etappe! Fast immer längs den Doubs oder den parallel verlaufendenRhein-Rhone-Kanal. Morgens bei frischen Temperaturen, später recht heiß. Wie vom Himmel erschien ein Restaurant der gehobenen Preisklasse mit Woody-Allen-reifem Kellner, so dass wir nicht vom Fleisch fielen. Nach einem leckeren Salade au Chevre Chaud ging es in großer Hitze weiter.
Wir hatten ein Zimmer in einer Ferme Auberge etwas außerhalb von Baume reserviert. Da Baume am steilen Hang liegt, heißt „außerhalb“ „weiter oben am Hang“. Dann bin ich mal wieder dem Navi aufgesessen. Es kalkuliert die optimale Verbindung aufgrund der Straßenkilometer und lässt dabei die Höhenunterschiede außer Acht. Wer schon mal Fahrrad gefahren ist, weiß, dass Steigungen schon eine gewisse Rolle spielen. Die Navi-Designer wussten das anscheinend nicht.
Der Eurovelo 6 wäre bis Baume am Fluss verlaufen und hätte halt einen Bogen geschlagen. Das Navi optimierte und schickte uns steil und energiezehrend das lange Ufer hinauf bis auf eine Hochebene. Dort nahmen wir eine stark befahrene Straße, die uns nach wenigen Kilometern per Schussfahrt unter Verlust von großen Mengen potentieller Energie nach Baume hinein führte. Anschließend mussten wir wieder steil hinauf, um unsere Herberge zu finden. Am Ende des Städtchens, unserer Nerven und unserer Akkus riefen wir die Herberge an und sagten das Zimmer ab. Das andere im Fahrradführer angegebene wunderbare Hotel war leider ausgebucht. Zumindest lernten wir vor dem Hotel ein sehr nettes Ehepaar aus einem Ort bei Montbeliard kennen, die uns für den nächsten Tag eine Übernachtung anboten. Leider waren wir zu strack, um das anzunehmen. Es wäre sicher interessant gewesen. Ironischerweise war das die Nacht, für die wir kein Hotelzimmer in Montbeliard fanden.
Es verblieben jetzt nicht mehr allzu viele Alternativen zum Übernachten in Baume, und unsere Akkus zeigten schon starke Entzugserscheinungen. So wir sind beim Bambi-Hotel untergekommen, welches wir schon beim Anstieg gesehen hatten mit dem Entschluss, da gehen wir auf keinen Fall hin. Das Bambi ist ein typisches Vertreterhotel an der Ausfallstraße. Aber die Wirtsleute waren sehr nett. Sie machten sogar während der geheiligten Mittagspause für uns auf und zapften mir eine Pression. Die letzte Steigung mussten wir auf alte Art, d.h. ohne Elektromobilität überwinden.
Das Abendessen war gut, allerdings ohne Bambi auf der Speisekarte.

5.7. Baume les Dames – Montbeliard, 70km
Die verbliebene Strecke bis nach Mulhouse ließ sich in zwei Etappen aufteilen mit Station in Montbeliard. Mömpelgard, wie die Württemberger und Google Maps zu sagen pflegen. Montbeliard war durch Heirat 350 Jahre lang württembergisch. Man sieht es am Schloss und den Häusern der Altstadt.
Unsere Versuche, ein Hotelzimmer zu finden waren vergeblich. Es stellte sich heraus, dass unsere Tour de France mit einer anderen Tour de France kollidierte. Also wurde die unsrige in Montbeliard abgebrochen und die Fahrt mit der Bahn nach hause angetreten. Leichter gesagt als getan! Vier Regionalzüge, TER, braucht man, um bis nach Saargemünd zu kommen, Montbeliard – Belfort – Mulhouse – Strasbourg – Saargemünd. Umsteigenmit Fahrrad ist oft problematisch. Nicht immer gibt es Aufzüge, dann heißt es bei Bahnsteigwechsel Treppen rauf und runter bewältigen. Und manchmal haben die Züge steile Einstiege, die sind bei geschätzten 60kg Gesamtgewicht unangenehm. Gott sei Dank, nur ein TER mit hohem Einstieg und nur ein Bahnhof mit zu bewältigenden Treppen!
Was man aber über die SNCF sagen muss, die Fahrkarten, besonders mit der Carte Senior+ sind billig und die Fahrradmitnahme im TER ist umsonst. Von Saargemünd mussten wir nach hause radeln, weil die Bahnstrecke derzeit repariert wird. Aber das schafften wir dann auch noch.

Fazit:
Wunderbare Route, traumhafte Landschaften an Flüssen oder Kanälen, meist sehr gute Fahrradwege und Beschilderung, verbesserungswürdiges Wetter. Insgesamt 1150km gefahren. Was man ja insgeheim schon weiß, aber immer wieder gern bestätigt findet, ist, dass man fast in jedem französischen Ort ein Restaurant, ein Bistro oder eine Bar finden kann, in der man gescheites Essen bekommt.